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Was blüht uns Ende Oktober ?

Der Wunderbaum (Ricinus communis L.)

Als der bulgarische Schriftsteller und Dissident Georgi Markow im September 1978 die Waterloo Bridge in London überquerte, wurde er - wie zufällig erscheinend - von einem Agenten des bulgarischen Geheimdienstes durch eine mit Rizin präparierte Regenschirmspitze verletzt. Zunächst als harmloser Zwischenfall abgetan, wurde die Ursache der Vergiftung viel zu spät erkannt. Markow starb drei Tage nach dem „Regenschirmattentat“.

Rizin, ein Protein der Samenschale des Wunderbaumes, ist eines der giftigsten Proteine, die in der Natur vorkommen. Nach Injektion, Inhalation oder oraler Aufnahme setzt die Vergiftung ein, geringere Dosen bewirken Übelkeit, Erbrechen, Schwäche, bei zu hoher Dosis setzt der Tod durch Atemlähmung nach 36 bis 72 Stunden ein.

Es wirkt, indem es die sogenannte eukaryotische Proteinbiosynthese hemmt. Schon 0,25 Milligramm reichen für eine tödliche Vergiftung aus. Eine ähnliche Giftigkeit erreicht in unseren breiten der Blaue Eisenhut (Aconitum napellus), für den wie für das Rizin noch kein geeignetes Gegenmittel erhältlich ist. Erst im April und Mai dieses Jahres war der Giftstoff wieder in den Schlagzeilen, als mit Rizin versehene Briefe an US-Präsident Obama und den New Yorker Bürgermeister Bloomberg verschickt wurden.

Der Wunderbaum stammt aus Nordafrika und dem Nahen Osten
Der Wunderbaum aus der Familie der Wolfsmilchgewächse hat aber auch ganz andere Facetten. In unseren gemäßigten Breiten ist er eine einjährige, in den Tropen eine mehrjährige Zierpflanze. Seine ursprüngliche Heimat sind wohl Nordafrika und der Nahe Osten. Unter idealen Bedingungen kann der Wunderbaum in drei bis vier Monaten bis zu fünf Meter hoch werden. Die exotisch anmutende Pflanze blüht anschließend von August bis Oktober. In der oberen Hälfte des Blütenstandes werden nur die mit roten Stempeln ausgestatteten weiblichen, in der unteren Hälfte nur die mit typisch gelben Staubblättern ausgestatteten männlichen Blüten gebildet.

Die Samen sind von einer harten rötlich-bräunlich marmorierten Schale umgeben. Der lateinische Name „ricinus“ bedeutet übersetzt „Zecke“ und weist auf die Form der Samen hin. In deren Innerem liegt ein zarter Keimling in mächtiges Endosperm eingebettet, das neben 14-22 Prozent Eiweiß (davon 3 Prozent Rizin) auch 40-50 Prozent Rizinusöl enthält. Nach Kaltpressung der geschälten Samen und anschließender Raffination ist das Öl frei vom giftigen Rizin. Größter Produzent für Rizinusöl ist Indien.

Vielseitige Nutzung von Rizinusöl
Die wichtigste Anwendung besitzt Rizinusöl als natürliches Polyol für die Herstellung von Polyurethankunststoffen, die als PU-Schäume, Gießharze und Klebstoffe verwendet werden. Das Öl hat weiter große Bedeutung als Rohstoff für Lacke, Polyamid-11, im Bereich Kosmetik als Grundstoff für Lippenstifte und Shampoos und in der Pharmazie. Zudem wird es zur Schmierung von Verbrennungsmotoren und schnell laufenden Turbinen wie zum Beispiel in Flugzeugen eingesetzt. Die Nutzung des Öls zur Herstellung von Biodiesel wird neuerdings ebenfalls wieder diskutiert.

Medizinisch gesehen besitzt Rizinusöl als Abführmittel Bedeutung. Äußerlich wird es zur Behandlung von Warzen und Ringelflechten verwendet. Bereits im ältesten erhaltenen medizinischen Text, dem altägyptischen „Papyrus Ebers“, datiert 1552 v. Christus finden sich Angaben über die Verwendung der Samen als Abführmittel und Haarwuchsmittel. Ebenso wurde das Öl als Salbe für riechende Geschwüre eingesetzt. Später wird der Wunderbaum im alten Testament in der Bibel mit seinen 30-70 cm großen Blättern als Schattenspender für Jona erwähnt.

R. Gliniars, R. Bäßler, A. M. Steiner, veröffentlicht am: 23.10.2013


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